Edeka Nord zieht seine Planung für die Alte Rindermarkthalle durch.
Das ist nicht gut so. Eine Bestandsaufnahme.
Im Februar 2013 gab Edeka Nord über NDR und Hamburg1 bekannt, dass die neue Rindermarkthalle auf St. Pauli am 1. April 2014 ihre Pforten öffnen wird. Die Betreiber des geplanten Edeka-Markts in der Halle, Herwig Holst und Jörg Meyer, unterzeichneten vor laufenden Kameras ihren Mietvertrag, und Projektentwickler Peter Maßmann meinte zum neuen Nutzungskonzept mit Budni, Aldi und Markthalle: „Das ist etwas ganz Besonderes für Hamburg.“
Besonders ist an diesem Konzept allenfalls die Größe des Edeka-Markts – mit 6000 qm der wäre es der größte innerstädtische Edeka in der Bundesrepublik. Ansonsten ist das Konzept ein Armutszeugnis für die Stadt Hamburg und den Bezirk Mitte. Ein phantasieloses Einkaufszentrum, wie es in x deutschen Innenstädten herumsteht, an den Bedürfnissen der Anwohner_innen vorbeigeplant. Als ob man diese dafür abstrafen will, dass sie sich nicht mit einer Music Hall beglücken lassen wollten.
Drei Jahre dauert der Rinderwahnsinn auf St. Pauli nun schon. Und es gibt eine Menge Fragen:
- Ist diese Halle eigentlich in guten Händen?
- Funktioniert das Edeka-Konzept überhaupt?
- Gibt es einen Plan B, falls Edeka mit seinem Konzept scheitert?
- Welche Rolle spielt die Sprinkenhof AG eigentlich?
- Wieviel Verkehr wird das Einkaufszentrum anziehen?
- Was ist mit der Außengastronomie auf dem Vorplatz der Halle?
- Haben Gewerbetreibende aus der Schanze und aus St. Pauli eine Chance, in der Halle ein Geschäft aufzumachen?
Ist diese Halle eigentlich in guten Händen?
Ganz sicher nicht. Nachdem die Music Hall am Widerstand der Anwohner_innen gescheitert war, ging der Bezirk Mitte auf Tauchstation – für neun Monate. Obwohl eigentlich von der Bürgerschaft aufgefordert, ein neues Konzept mit den Anwohner-innen zusammen zu entwickeln, führte der damalige Bezirksamts-leiter Markus Schreiber einen nicht-öffentlichen Wettbewerb für ein Supermarkt/Markthallen-Konzept durch. Rewe zum Beispiel bewarb sich mit einem Konzept, das immerhin auf der Hälfte der Hallenfläche eine „soziale Markthalle“ vorsah. Den Zuschlag bekam Edeka Nord mit dem jetzigen Einkaufscenter-Konzept, wohl weil es bereit war, am meisten Geld hinzulegen.
Schreiber verkündete das Konzept im September 2011, ohne dass einer der umliegenden Sanierungsbeiräte oder eine der Anwohner-Initiativen auch nur einmal um ein Gespräch gebeten worden wäre. Noch eine Woche vor Verkündung des Plans hatte er auf Nachfrage erklärt, da werde auf absehbare Zeit noch nichts passieren. Und Edeka Nord? Ging nach der Bekanntgabe erst mal elf Monate auf Tauchstation.
Edeka-Verantwortliche haben zuletzt eingeräumt, dass man sich zunächst mit dem Stadtteil St. Pauli gar nicht auseinander gesetzt habe. Das einzige, was den Einzelhandelskonzern interessierte, war ein innerstädtisches „Filetstück“ als Immo-bilie. Als dann im Sommer 2012 die Projektentwicklungs-gesellschaft Maßmann & Co vorgeschickt wurde, die Anwohner „ins Boot“ zu holen, wurde es nicht besser. Ein Workshop als Simulation von Bürgerbeteili-gung hier, ein paar Gespräche da konnten nicht darüber hinweg-täuschen, dass Edeka für stadtteilnahe Nutzungen nicht mehr an-zubieten hat als schlappe 4,5 Prozent der Gesamtfläche. Denn die Halle ist nach Ansicht von Edeka Nord so teuer, dass jeder Quadratmeter möglichst lukrativ weitervermietet werden muss.
Funktioniert das Edeka-Konzept überhaupt?
Das weiß niemand. Dass den Anwohner_innen vor allem im Karoviertel ein Supermarkt fehlt, ist klar. Aber noch 2010 war der Bezirk davon ausgegangen, dass ein Supermarkt von 2400 Quadratmetern genügt. Edeka Nord wollte aber die ganz große Nummer: einen Edeka-Markt auf 6000 Quadratmetern, plus Aldi und Budni. Eine Marktanalyse kam zunächst zu dem Ergebnis, dass der Edeka-Markt allein einen Umsatz von 30 Millionen Euro machen könnte. Die auserkorenen Betreiber Holst und Meyer trauten dem Braten jedoch nicht und ließen eine zweite Untersuchung machen. Die kam zu einem anderen Ergebnis: 18 bis 20 Millionen im Jahr, weil die geplante Markthalle Edeka Konkurrenz machen dürfte. Damit würde der Edeka-Markt in der Halle rote Zahlen schreiben.
Edeka Nord wird an die Sprinkenhof AG als Verwalterin des städtischen Areals jährlich ungefähr 1,5 Millionen Euro zahlen. Die Laufzeit des Vertrags ist jedoch auf zehn Jahre beschränkt, was Edeka Nord nicht gefällt. In der Zentrale in Neumünster geht man davon aus, dass dieser Zeitraum im besten Fall nur ausreicht, um die Investitionen wieder hereinzubekommen.
Aufgrund dieser beunruhigenden Aussichten wollten die Betreiber Holst und Meyer im Dezember aussteigen. Welche Bonbons – oder welchen Druck – sie von der Zentrale in Neumünster bekommen haben, um doch zu unterschreiben, weiß keiner. Die Probleme bleiben.
Gibt es einen Plan B, falls Edeka mit seinem Konzept scheitert?
Nein, wie uns auf Nachfrage vom Leiter des Fachamts für Stadt- und Landschaftsplanung Michael Mathe auf einer Ausschuss-Sitzung gesagt wurde. Der Bezirk gefällt sich ganz offensichtlich in der Rolle des Zuschauers, der den Schwarzen Peter an Edeka weitergegeben hat. Vom neuen Bezirksamtsleiter Andy Grote hört man zur Rindermarkthalle nichts. Von der Sprinkenhof AG ist ohnehin nichts zu hören. Sie kommuniziert grundsätzlich nicht mit Anwohner_innen.
Welche Rolle spielt die Sprinkenhof AG eigentlich?
Eine dubiose. Die Sprinkenhof AG (SpriAG) verwaltet als städtisches Unternehmen die Immobilien der Stadt Hamburg, deren juristische Eigentümerin die Finanzbehörde ist. Auftrag der SpriAG ist offensichtlich, aus diesen Immobilien möglichst viel Kohle rauszuholen. Die Preise, die sie aufruft, legt sie selbst fest. Der Bezirk hat hier nichts zu sagen. Es gibt zwei mögliche Gründe, warum sie die Nutzung auf zehn Jahre befristet hat:
a) Indem man die zehn Jahre als „Zwischennutzung“ bezeichnete, glaubte man, mit den Anwohner_innen nicht mehr reden zu müssen. Die könnten ja noch in zehn Jahren mitreden, wenn es um eine „endgültige“ Nutzung geht.
b) Die Sprinkenhof AG plant langfristig wohl, die Rindermarkt-halle zu verkaufen. Zum Beispiel nach fünf Jahren, falls das Edeka-Konzept scheitert. Oder, falls das Konzept doch ein Erfolg wird, nach Ablauf der zehn Jahre an Edeka Nord selbst. Laut Sprinkenhof-Vorstand Jan Zuhnke gibt es in dem Vertrag mit Edeka keine Klausel, dass der Vertrag frühzeitig verlängert werden könnte oder Edeka ein Vorkaufsrecht hätte. Aber niemand außerhalb der Beteiligten hat den Vertrag bisher zu Gesicht bekommen.
Wir haben versucht, ihn mit einer Anfrage nach dem neuen Hamburgischen Transparenzgesetz anzufordern. Die Finanzbehörde antwortete darauf, die Sprinkenhof AG sei keine Einrichtung der „öffentlichen Daseinsvorsorge“ und unterliege deshalb nicht dem Gesetz, deswegen könne der Vertrag nicht herausgegeben werden.
So sieht also Klüngel auf Hamburgisch aus: Einerseits schützt die Finanzbehörde die SpriAG, andererseits verweist sie Anfragen an diese. Immer schön ping-pong, und am Ende ist keiner verantwortlich.
Wieviel Verkehr wird das Einkaufszentrum anziehen?
Ganz gleich, wieviel Umsatz Edeka in der Halle wirklich machen kann: Das Geschäft funktioniert nur, wenn möglichst viele Menschen auch aus anderen Stadtteilen dort einkaufen. Die aber werden ganz sicher mit dem Auto kommen. Dass Edeka damit plant, zeigen die ca. 80 Parkplätze, die auf dem Areal erhalten bleiben.
Anders als früher werden die Parkplätze außerhalb der Dom-Zeiten nicht mehr kostenlos für die Anwohner_innen nutzbar sein. Schließlich kosten auch die Parkplätze Geld, das Edeka mit reinholen will.
Ein Verkehrskonzept hat Edeka Nord bisher noch nicht vorgelegt. Es läuft aber darauf hinaus, dass die Zufahrt für die Kunden ausschließlich über die Budapester Straße erfolgen wird. Vor allem zu den Haupteinkaufszeiten am frühen Abend dürfte der Ansturm beachtlich sein und in der Budapester Straße Richtung Millerntor einen Stau von Linksabbiegern verursachen. Der Rückstau könnte bis in die Stresemannstraße, das Schulterblatt und die Schanzenstraße gehen. Der Lieferverkehr wiederum soll zwischen JET-Tankstelle und U-Bahnhof in die Feldstraße abfließen. Das wird dann ganz ordentlich brummen.
Was ist mit der Außengastronomie auf dem Vorplatz der Halle?
An der Vorderseite der Rindermarkthalle soll es drei Gastro-Betriebe geben. Sie haben je über 300 Quadratmeter Fläche. “Wer ein paar hundert qm anmietet, muss schon eine schlaue Brauerei oder Geld geerbt haben”, sagte Peter Maßmann im September letzten Jahres im O-Ton. Gleichzeitig beteuert er, man wolle keine Ketten – keinen Starbuck’s, McDonalds, LeCroBag oder anderes – darein holen. Eine Gastronomie aus dem Stadtteil für den Stadtteil dürfte es sicher nicht werden.
Bei Mietpreisen, die nicht unter 30 Euro pro Quadratmeter liegen dürften, werden die Betreiber geradezu gezwungen sein, im Frühjahr und Sommer Tische und Bänke auf den Vorplatz zu stellen, um möglichst viele Kunden anzuziehen. Dazu kommt, dass die JET-Tankstelle ihren Verkaufsraum umbaut, mit Eingang zum Bürgersteig am Neuen Kamp. Das bedeutet, dass sie noch mehr als bisher zum Kiosk wird. Angesichts dessen ist also absehbar, dass auf dem Vorplatz eine zweite Piazza wie auf dem Schulter-blatt entsteht. Und das fast 365 Tage im Jahr – die Eventisierung St. Paulis wird so auch die Alte Rindermarkthalle erreichen.
Wie lange die Gastronomie geöffnet hat, kann bisher weder das Amt noch Edeka Nord sagen. Von Edeka ist nur zu hören, man wolle dafür sorgen, dass die Außengastronomie nicht länger als bis 23 Uhr geht. Dafür muss man zwar nicht sorgen, weil das ohnehin der Gesetzeslage entspricht. Aber die Auskunft zeigt, dass Edeka Nord ebenso wie die Planer von Maßmann & Co sogar noch Selbstverständlichkeiten als gute Taten verkaufen wollen.
Haben Gewerbetreibende aus der Schanze und aus St. Pauli eine Chance, in der Halle ein Geschäft aufzumachen?
Danach sieht es nicht aus. Denn die geplanten Mietpreise sind nicht günstig: 10 bis 12 Euro/qm für die Büroflächen im Obergeschoss sind kein Schnäppchen, und bis zu 40 Euro/qm für die Stände in der Markthalle sind geradezu steif. Mitmachen kann da eigentlich nur, wer ein ordentlich aufgemotztes Konzept mitbringt.
Wir wissen inzwischen von mehreren Fällen, in den Menschen aus dem Stadtteil für eine gewerbliche Nutzung angefragt haben. Die Mietforderungen waren so absurd hoch, dass sie gleich abwinkten. Einige bekamen nicht einmal eine Antwort bekommen.
Sicher ist im Moment nur:
Eine HALLE FÜR ALLE wird die Alte Rindermarkthalle NICHT werden.
Dafür aber ein Gelände voller Kommerz und Erlebnis-Shopping.
St. Pauli hätte etwas Besseres verdient.
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