Für die aktuellen Ausgabe (Nr. 44 vom 11.02.2020) des BürgerInnenbriefs von Heike Sudmann und Christiane Schneider (Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft) haben wir einen Artikel veröffentlicht. Hier ist der Artikel als Textform und hier könnt ihr ihn als PDF runterladen:
Paulihaus – Kieztrojaner oder netter Nachbar?
Vorgeschichte
Rindermarkthalle und Esso-Häuser, das sind nur zwei der stadtpolitischen Konflikte der letzten Jahre, die auf St. Pauli für viel Öffentlichkeit und Widerstand gesorgt haben. Bei dem einen wollte die Stadt eine Music Hall bauen, die sich niemand wirklich gewünscht hat, bei dem anderen kaufte ein milliardenschwerer Investor das Nachkriegsensemble, wollte es abreißen und hochpreisig neu bebauen. In beiden Konflikten gab es eine breite Mobilisierung und die Nachbarschaft brachte sich konstruktiv mittels einer Wunschproduktion in die Neuplanung mit ein. Bei der Rindermarkthalle wurde ein kleiner Teil der Wünsche durch Edeka Nord als Nahversorgungszentrum umgesetzt. Bei den Esso-Häusern wurde sich die PlanBude erkämpft, die dann einen durch den Bezirk beauftragten, breit angelegten Beteiligungsprozess entwickelte und umsetzte. Das Ergebnis dieser vorbildhaften und wahrhaftigen Partizipation des Stadtteils an der Neubebauung des Esso-Areals ist der sogenannte St. Pauli Code. Günstig statt teuer, Alt vor neu, Unterschiedlichkeit statt Homogenität, Raum und Toleranz für alles was von der Norm abweicht, Selber machen statt Konsummeile, Schmuddeliger Glamour statt Hochglanzfassaden, so lauten die zusammengefassten Wünsche des Stadtteils. Alle Beteiligten waren so begeistert, dass der damalige Bezirksamtsleiter Andy Grote und Baudezernent Bodo Hafke auf einer öffentlichen Veranstaltung 2015 diesen St. Pauli Code nun zur „verbindliche Vorgabe“ für alle weiteren große Bauvorhaben auf St. Pauli erklärten.
Nun hätte man die Hoffnung haben können, dass Bezirk, Politik und auch Investoren etwas aus diesen vergangenen Auseinandersetzung gelernt hätten und in Zukunft tatsächlich für und mit dem Stadtteil diskutiert und geplant werden würde. Allein, es kam (mal wieder) anders.
Aus „build in St. Pauli“ wird „Paulihaus“
Aktuell gibt es Planungen für einen Bürokomplex am Neuen Pferdemarkt. „Paulihaus“, so der wohlfeil klingende Name des geplanten 6-stöckigen Neubaus. Schaut man auf die Webseite der Projektentwickler_innen, wird mit einem netten Nachbarn geworben. Drei Unternehmen aus dem Viertel entwickeln ein Projekt für das Viertel. Begonnen haben die Planungen schon im September 2015, als die steg (ehemals eine städtische Stadtentwicklungsgesellschaft zur Betreuung von Sanierungsgebieten, seit 2003 aber eine private Firma und seit kurzem zunehmend als Projektentwickler tätig) mit der Idee einer „Randbebauung Budapester Straße“ die Zustimmung im Stadtteil zaghaft testen wollte. Eine schwach besuchte Infoveranstaltung im Haus der Familie, von der der Stadtteil kaum etwas mitbekommen hatte, dann hörte man 1,5 Jahre nichts mehr. 2017 tauchten erste Infoflyer zum Projekt „built-in-St. Pauli“ auf. Die drei Firmen, die dieses Projekt umsetzen wollten, sind die steg Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH, Hamburg Team Gesellschaft für Projektentwicklung mbH und ARGUS Stadt und Verkehr Partnerschaft mbB. Was folgte war eine dreitägige Infoveranstaltung In Pavillons vor der Rindermarkthalle. Diese wurden dann gleich zur Planungswerkstatt hochstilisiert, allerdings sind die Meinungen zu dem Projekt, die dort gesammelt wurden, offenbar alle verschwunden. Dann ein städtebaulicher Wettbewerb unter eigener Regie und die wie ein Privat-Event konzipierte Ausstellung der Entwürfe mit Einlass-Kontrolle an der Tür, Fotoverbot und der Notwendigkeit, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterschreiben, wenn sich Anwohner_innen die Pläne anschauen wollten.
Das muss wohl die frühzeitige Transparenz sein, von der die steg und ihre Partner_innen jetzt so vollmundig sprechen. Im März 2019 wird dann aus „build in St. Pauli“ das sogenannte „Paulihaus“, das im gleichen Zug plötzlich nun doppelt so groß und 1 Stockwerk höher geworden ist. Auch ist nun die Werbefirma Pahnke Markenmacherei mit im Boot. Deren Rolle ist interessant. In den ersten Planungen war sie noch nicht Teil des Firmenkonsortiums, nun spielt sie eine entscheidende Rolle bei der Grundstücksvergabe. So wie es scheint kamen die Planungen der drei ursprünglichen Partner ins Stocken, da sie nicht so ohne weiteres an das städtische Grundstück rankamen. Mittels Pahnke wurde ein Wirtschaftsförderungsfall konstruiert. Erst dies ermöglichte es dem Firmenkonsortium das Grundstück als Direktvergabe, d.h. ohne öffentliche Ausschreibung von der Stadt zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Drohung, dass die Werbefirma sonst nach Berlin abwandern würde, war für die Entscheider_innen der Hamburg Invest – als Wirtschaftsförderung ausreichend. Geprüft wurde dies nie. Alternativstandorte hat man nicht protokolliert. Die Ergebnisse und die Entscheidungsfindung von Hamburg Invest ist nicht einsehbar. Da ist sie wieder die vollmundige propagierte Transparenz.
Das Viertel organisiert sich – St. Pauli Code jetzt!
Lange Zeit liefen die Planung für die Neubebauung des Grundstücks ohne große Öffentlichkeit. Dies ist seit September 2019 anders. Aktive aus dem Stadtteil luden gemeinsam mit der Betreiberin des indischen Restaurants Maharajas zu einer Nachbarschaftsversammlung ein. Gekommen sind fast 100 Menschen. Sie gründeten eine Initiative, die sich später den Namen „St. Pauli Code jetzt!“ gibt und damit die Politik an ihr Versprechen aus dem PlanBuden-Prozess erinnert. Und seitdem wird nachgefragt, aufgedeckt, Unterschriften gesammelt, eine Infoveranstaltung durchgeführt, Aktionen geplant, eine eigene Nachrichtensendung entwickelt und vor allem Licht ins dunkle Gemauschel rund um die Planungen zum „Paulihaus“ gebracht. Und Licht kann es hier gar nicht genug geben.
Paulihaus – partizipative, transparente Stadtplanung geht irgendwie anders
Zwar sind die Projektverantwortlichen und auch Politiker_innen immer wieder bemüht, den Eindruck zu erwecken, dass dieses Projekt von Anfang an transparent und unter Beteiligung der Öffentlichkeit geplant wurde. Doch die Realität sieht leider wie so oft anders aus. Denn dieses Projekt wirft viel mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Und so haben der Stadtteilbeirat Sternschanze und die Quartiersbeiräte Karolinenviertel und Wohlwillstraße -wohlgemerkt offizielle von der Stadt eingesetzte Beteiligungsgremien – bereits im Jahr 2017 aber nun erneut im Herbst 2019 das Projekt abgelehnt bzw. die fehlende öffentlich Diskussion bemängelt und dringend eine öffentliche Infoveranstaltung mit neutraler Moderation eingefordert. Reaktionen darauf gab es keine. Es oblag der Initiative „St: Pauli Code jetzt!“ im November 2019 dann selbst eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zu organisieren. Dass der Bedarf danach groß ist, zeigten die über 200 Anwesenden im Ballsaal des FC St. Pauli. Diese lehnten nach ausführlicher Debatte dann auch das Projekt in einer Resolution ab und forderten einen sofortigen Stopp der Planungen sowie einen ergebnisoffenen Dialog unter echter Beteiligung der Öffentlichkeit.
Die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung machen jedoch genau das Gegenteil. Die Baugenehmigung wurde mal eben zwischen den Feiertagen, direkt nach Weihnachten, am 27.12.19 erlassen, obwohl noch 2 Werktage zuvor laut kleiner Anfrage keine genauen Angaben gemacht werden konnten, wann mit der Baugenehmigung zu rechnen ist. Ein Schelm wer hierbei von Trickserei ausgeht. Die Politik gesteht inzwischen ein, dass es an der einen oder anderen Stelle mehr Information hätte geben sollen, aber grundsätzlich wäre der Ablauf des Projektes rechtmäßig und der Neubau sei zu begrüßen. Die Frage ist nur, was hat der Stadtteil von dem Büroklotz und deshalb wird der Widerstand gegen die Neubauplanung immer größer. Bereits über 10.000 Unterschriften sind im Maharaja einsehbar und auch auf rechtlicher Ebene scheint die Sache noch nicht geklärt. Denn die Stadt bzw. der LIG (Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen) unternimmt gerade den Versuch die Betreiberin des Mahrajas, vorzeitig aus dem Pachtvertrag zu kündigen, um möglichst schnell die Gebäude am Neuen Pferdemarkt abreißen zu können. Dieser Sonderkündigung sieht der Richter eher kritisch. Die Urteilsverkündigung ist am 25.2.2020. Es bleibt also weiterhin spannend.
Schon lange geht es bei den Aktiven der Initiative „St. Pauli Code jetzt!“ nicht mehr nur um dieses konkrete Grundstück. Es geht um Stadtentwicklung generell, es geht um Demokratie und Mitbestimmung, es geht darum, wie sich Stadtteile entwickeln und wer darin was entscheiden darf und vor allem wessen Interessen beachtet werden. Und es geht darum, wie die Stadt bzw. der LIG Grundstücke vergibt und wie transparent diese Vergabe ist.
In unmittelbarer Nähe zur Rindermarkhalle stehen schon nächste sehr bedenklich Entwicklungen an. Gerüchteweise soll das Hotel Pacific verschwinden und auch an der Ecke Wohlwillstraße/Neuer Pferdemarkt gibt es Abrissbegehrlichkeiten von Investoren. Das Kühlhaus am Fleischgroßmarkt ist schon platt gemacht worden. Was dort entstehen soll, scheint ein weiteres Geheimnis.
Dem allen wollen Aktive im Stadtteil nicht tatenlos zusehen, sondern selbst gestalten und Kieztrojaner enttarnen. Die Forderung „St. Pauli Code jetzt!“ wird somit immer wichtiger!