Als hätte die Stadt nichts aus den Auseinandersetzungen der letzten Jahre gelernt, ist wieder einmal hinter den Kulissen ein Gelände, in diesem Fall an der Budapester Straße, wo sich die eingeschossigen Bauten mit Restaurant Maharaja, Tonstudion Rekorder und Autohaus Max befinden, einem Baukonsortium unter Führung der STEG anhandgegeben worden (Edeka Nord, Mieterin der Rindermarkthalle ist daran übrigens nicht beteiligt).
Die STEG war erstmals im September 2015 mit der Idee hausieren gegangen, auf dem Gelände ein Gewerbegebäude zu errichten. Damals lud sie zu einer Veranstaltung ins Haus der Familie. Die wenigsten im Viertel dürften davon etwas mitbekommen haben. Dann passierte anderthalb Jahre nichts.
Mit einer inzwischen verbreiteten Kommunikationstaktik wurde im Februar 2017 plötzlich ein freundliches, luftig gezeichnetes Bild in die Welt gesetzt, unter dem Motto: „Built in St. Pauli“. Das sah so aus:
Inzwischen hat sich der Entwurf drastisch verändert. Geplant ist nun ein massiver, sechsgeschossiger Büroriegel, dessen Baubeginn 2020 sein soll:
Auf Nachfrage im Bauausschuss des Bezirks Mitte am 14.8.2019 versicherten Politiker*innen von SPD, Grünen und CDU, der Planungsprozess sei „sehr, sehr öffentlich“ (O-Ton Michael Osterburg von den Grünen) und nachvollziehbar abgelaufen. Seltsam, dass viele St. Paulianer*innen nichts davon mitbekommen haben. Mehr noch, viele Anwohner*innen sind entsetzt über den Büroriegel, der mit St. Pauli wirklich gar nichts zu tun hat. Hier ist noch einmal die Abfolge dieser eigenartigen Planung, wie wir sie rekonstruiert haben:
Sept. 2015 – Die STEG beginnt intern mit der Planung für ein Bürogebäude. Planungspartner sind zu diesem Zeitpunkt Team Hamburg und der Verkehrsdienstleister Argus. Die Werbeagentur Pahnke Markenmacherei ist NOCH NICHT dabei. Im Haus der Familie findet am 30. Sept. 2015 eine Infoveranstaltung statt, auf der die Idee unverbindlich präsentiert wird. Ideen darf natürlich jeder haben.
Feb. 2017 – Unter dem Titel „Built in St. Pauli“ tauchen im Stadtteil Flyer auf, die zur Planungswerkstatt „Built in St. Pauli“ in der Rindermarkthalle vom 16.-18.2.2017 aufrufen; CDU-Fraktionschef Gunter Böttcher erklärt dazu am 18. Feb. 2017 auf Facebook:
„Weder gibt er B-Plan das her, noch gibt es eine Bauvoranfrage oder gar Bauantrag. Auch keine Anhandgabe des Grundstückes. Wurde uns im letzten Stadtplanungsausschuss in Mitte von der Verwaltung bestätigt. Also ’nur‘ eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung eines Entwicklers, der dort Interesse hat. Zur Nutzung gab es im Rahmen der Diskussionen zur Rindermarkthalle sehr differenzierte Überlegungen, die nicht vergessen sind. ‚Durch‘ ist dieses Projekt noch lange nicht.“
Okt. 2017 – Beginn eines städtebaulich-hochbaulichen Wettbewerbs; bis dahin hat es noch keine Anhandgabe gegeben, ist kein Abriss- und kein Bauantrag gestellt worden.
29./30. Jan. 2018 – Ausstellung der Entwürfe der fünf zum Wettbewerb eingeladenen Architekturbüros im Schulmuseum in der Seilerstraße; alle Besucher*innen müssen eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Transparenz sieht anders aus.
2018 – Anhandgabe durch die Kommission für Bodenordnung an das Baukonsortium – wann genau, ist uns nicht bekannt. Außerdem entscheidet eine Jury über den Wettbewerbssieger. Vertreter*innen des Stadtteilbeirats Wohlwillstraße nehmen in der Jury teil, Vertreter*innen des Stadtteilbeirats Karolinenviertel lehnen die Teilnahme ab. Anwohner*innen aus dem Stadtteil sind an dem gesamten Verfahren nicht beteiligt.
9. April 2019 – Hamburger Medien (Bild, Mopo) berichten, Baustart sei 2020. Aus „Built in St. Pauli“ ist jetzt „Paulihaus“ geworden.
Die Umbenennung suggeriert, der Büroriegel füge sich in den Stadtteil St. Pauli ein. Davon kann keine Rede sein: Die Architektur ist beliebig, das Gebäude könnte so auch am Berliner Tor stehen; die Nutzung wiederum hat nichts mit dem St. Pauli Code zu tun, der im Zuge des Planungsverfahrens zur Neubebauung des Esso-Häuser-Areals von der Planbude entwickelt wurde. Noch 2015 sagte der damalige Bezirksamtsleiter Andy Grote, der heutige Innensenator, der St. Pauli Code sei ab sofort „verbindliche Vorgabe“ für weitere große Bauvorhaben auf St. Pauli. Baudezernent Hafke bekräftigt dies auf derselben Veranstaltung, die auf Video dokumentiert ist.
Was sagt der St. Pauli Code aus? In aller Kürze dies:
Im „Paulihaus“ ist er definitiv nicht umgesetzt worden.
Und es geht noch weiter: Weil die Pahnke Markenmacherei angedroht hatte, nach Berlin zu ziehen, die Stadt dies jedoch verhindern wollte, wurde das Bauvorhaben zum Wirtschaftsförderungsfall. Das Baukonsortium bekommt das Grundstück im Erbbaurecht. Das ist interessant, denn Erbbaurechte hat die Stadt Hamburg seit vielen Jahren nicht mehr vergeben. Erbbaurecht heißt: Ein Grundstück muss nicht gekauft werden, sondern es wird z.B. über 50 Jahre ein jährlicher Erbbauzins an den Grundeigentümer, hier: die Stadt, gezahlt. Grundsätzlich ist die Anwendung des Erbbaurechts gut, nur warum wird es jetzt zuerst bei Gewerbebauten angewendet? Warum nicht, um Wohnungsbau oder Bauprojekte für soziale Einrichtungen zu fördern? Es gibt reichlich Büroleerstand in Hamburg, aktuell ca. 470.000 Quadratmeter. Da braucht es weder einen Wirtschaftsförderungsfall noch eine Unterstützung mittels Erbbaurecht, um noch mehr Büros zu bauen.
Weitere Ungereimtheit: Das Restaurant Maharaja schloss Ende 2015 einen Gewerbemietvertrag mit der Sprinkenhof AG (jetzt: Sprinkenhof GmbH) ab, die für die Stadt Hamburg die Eigentumsrechte an dem Areal der Alten Rindermarkthalle wahrnimmt. Zu dieser Zeit war die Planung öffentlich nicht bekannt, und die Sprinkenhof AG hätte als Vermieterin des Restaurantgebäudes explizit darauf hinweisen müssen, dass das Gebäude abgerissen werden soll. Tat sie aber nicht. Dem Maharaja ist zwischenzeitlich gekündigt worden, wogegen eine Klage läuft. Zwar wurde dem Maharaja eine finanzielle Entschädigung angeboten, doch die deckt nur einen kleinen Teil des Geldes, das die Restaurantbetreiber in den Ausbau gesteckt haben. Einzige gute Nachricht: Rekorder und Autohaus Max haben ein Rückkehrrecht und werden finanziell für die Ausfälle in der Bauzeit entschädigt. Mehr Positives gibt es aber nicht zu vermelden.
Denkmalschutz: Die Alte Rindermarkthalle steht unter Denkmalschutz. Der gilt offenbar nicht für die alte Randbebauung an der Budapester Straße (das Restaurant Maharaja befindet sich im Gebäude der ehemaligen Rindermarkthallen-Kantine). Denkmalschutz bezieht sich nicht nur auf ein Gebäude allein, sondern auch auf das städtebauliche Umfeld, dazu gehören Sichtachsen auf das Denkmal. Auch das scheint hier vernachlässigbar: Aus dem Denkmalschutzamt ist zu hören, dass der Denkmalcharakter der Alten Rindermarkthalle durch den Büroriegel nicht beeinträchtigt wird. So was aber auch.
Fazit: Mit dem Paulihaus werden der Neue Pferdemarkt und das Areal der Alten Rindermarkthalle massiv verändert – eine Bereicherung für St. Pauli ist es auf keinen Fall!